Das ehemalige AEG-Areal im Nürnberger Westen ist ein gutes Beispiel für die gelungene Revitalisierung eines alten Industriegeländes. Von der Fertigung von ‚Weißer Ware‘ zu Wissen, Kultur und High-Tech. Wie dies gelungen ist? Ein kleiner Einblick.
Ein Fertigungsstandort schließt
Der 12. Dezember 2005 war ein schwarzer Tag für Nürnberg. Der Elektrolux Konzern senkte den Daumen über das AEG-Hausgerätewerk in der Nürnberger Weststadt. 1.700 Beschäftigte standen vor dem Nichts. Was darauf folgte, ging durchs Land: 46 Tage Arbeitskampf. Tag und Nacht, teils bei klirrender Kälte. Solidaritätsbekundungen aus der gesamten Republik. Retten ließ sich die Fertigung von Waschmaschinen, Trocknern und Spülmaschinen in Nürnberg schlussendlich nicht. Sie wurde nach Osteuropa verlagert. Am 16. März 2007 schlossen sich die Werkstore endgültig. Das Aus für das Gerätewerk markierte den vorläufigen Tiefpunkt für den Nürnberger Westen. Zwei Jahre später ging das Versandhaus Quelle in die Insolvenz.
Nachdem die letzte Waschmaschine vom Band gelaufen war, begann eine beispielgebende Transformation hin zum Wissens-, Kultur und High-Tech-Quartier.
Ortsbestimmung – das Quartier „Auf AEG“
Das ehemalige AEG-Areal liegt im Westen Nürnbergs zwischen der Fürther Straße und den Pegnitzauen. Es wird durch die parallel laufende Muggenhofer Straße zerschnitten in einen südlichen Teil mit Verwaltungs- und Produktionsgebäuden der 50er und 60er Jahre mit bis zu sieben Geschossen und in ein nördliches Logistikareal. Das Nordareal umschließt mehrere Wohngebäude und einen Büroturm, die aber selbst nicht zum ehemaligen Fabrikstandort gehören. Landmarken des AEG-Areals sind die über dreihundert Meter lange Fassade der ehemaligen Produktionsgebäude entlang der Fürther Straße, Teile der alten Waschmaschinenförderbrücke, die in 15 Metern Höhe das Areal überquert und das Markenzeichen „AEG“ in übermannsgroßen Lettern. Die Leipziger Firma MIB Coloured Fields erwarb das knapp 17 Hektar große Industrieareal und entwickelte es schrittweise. Das Südareal wurde aufgelichtet, Parkraum geschaffen und sukzessive die gut erhaltene Bausubstanz für hochwertige Anmietungen saniert. Der Kern allerdings blieb erhalten: Man sieht dem Areal bis heute bewusst die Vergangenheit als Produktionsstandort an.
Wissen, High-Tech und Kultur auf dem Südareal
Identitätsstiftend für das Areal war die strategische Ansiedelung von Forschungseinrichtungen und Kultur. In den ersten Jahren wurde das Areal bewusst mit Zwischennutzungen durch Künstlerinnen, Künstler und Kreativschaffende gefüllt und somit bespielt und lebendig gehalten. Schicksalstag – diesmal im positiven Sinne – war der 4. März 2013. In der Fürther Straße 250 wurde der Energie Campus Nürnberg eingeweiht. Auf einmal stand das AEG-Areal für interdisziplinäre Spitzenforschung rund um Energieerzeugung, Verteilung, Speicherung und effiziente Nutzung. Mit seinen 5.200 Quadratmetern Forschungsflächen und Labors ist der Energie Campus Nürnberg ein wichtiger Entwicklungspartner für die Unternehmen vor Ort. In einer innovativen Kooperation arbeiten rund 150 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von Universität, Hochschulen und angewandter Forschung der Fraunhofer Gesellschaft zusammen. Solarzellen aus dem Drucker, flüssige Wasserstoffspeicher und Wandbaustoffe mit dem weltbesten Dämmwerten – für diese und viele weitere Innovationen steht der Energie Campus Nürnberg. Im Jahr 2013 erhielt der Standort mit dem Nuremberg Campus of Technology ein weiteres Forschungszentrum. Dort wird an allem geforscht, was Städte smarter und widerstandsfähiger macht, also z.B. an Automatisierung, Verkehrsplanung, Bau und Umwelt oder Sicherheitstechnik. Weitere sechs Lehrstühle der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen Nürnberg und sechs Professuren der Technischen Hochschule Nürnberg Georg Simon Ohm belebten das Quartier.
Spitzenforschung zieht weitere Spitzenforschung an. Der Weg war frei für die Ansiedelung zusätzlicher Lehrstühle, Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten auf dem AEG-Areal. Standorte der profilierten Lehrstühle für Energieverfahrenstechnik, für Fertigungsautomatisierung und Produktionssystematik, für Elektrische Energiesysteme und für Leistungselektronik wurden in den Folgejahren rund um den Energie Campus Nürnberg etabliert. Hinzu kamen weitere Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten in den Bereichen elektrische Antriebstechnik, Home Automation, Wasserstoff und Ressourcen- und Energieeffizienz. Die Energieforschung auf dem AEG-Areal gab den Anstoß für die Ansiedelung des ersten Instituts der renommierten Helmholtz-Forschungsgemeinschaft in Nordbayern – dem Helmholtz-Institut Erlangen-Nürnberg für Erneuerbare Energien; das ebenfalls einen Standort auf AEG unterhält. Insgesamt investierte der Freistaat Bayern seit 2011 über 100 Millionen Euro in zukunftsfähige Energieforschung auf dem AEG-Areal. Auf AEG ist als Wissensstandort etabliert.
Rund um die Forschung und Entwicklung siedelten sich Technologietransfer-Aktivitäten im Quartier an. So beherbergt das Areal heute das regionale Energietechnikcluster ENERGIEregion Nürnberg e.V., die Energieagentur Nordbayern und das Zentrum Wasserstoff.Bayern, das als Think-Tank und Netzwerk das Thema Wasserstoff im Freistaat Bayern vorantreibt. Mit dem NKubator – Innovations- und Gründerzentrum für Energie, GreenTech und Nachhaltigkeit kam im Jahr 2021 ein weiterer wichtiger Baustein im Technologietransfer hinzu. Der NKubator unterstützt GreenTech Gründungen und fördert nachhaltiges Wirtschaften in kleinen und mittleren Unternehmen in der Metropolregion Nürnberg. Start-ups aus dem NKubator arbeiten an gedruckter Elektronik, der Optimierung von Wärmenetzen, Lösungen zur Dekarbonisierung der Beton- und Zementindustrie oder der Vermeidung von Mikroplastik im Abwasser.
Die renovierten Fabrikhallen auf AEG sind mittlerweile ein gesuchter Standort. Aus dem Quartier kommen zum Beispiel Transformatoren für Züge und Straßenbahnen (Siemens Energy), Flughafenlogistik (Siemens Logistics) oder Brillen (Eschenbach Optik). Auf AEG steht aber auch hochwertige Dienstleistungen, insbesondere für Architekturbüros und IT-Unternehmen.
Maßgeblich für die Öffnung des Standortes im Kulturbereich war die Einrichtung der Kulturwerkstatt auf AEG durch die Stadt Nürnberg. In der Kulturwerkstatt auf AEG sind Kultur- und Bildungseinrichtungen ansässig. Zusammen bieten sie ein breites Spektrum an (Weiter-)Bildungsangeboten, Theateraufführungen, Konzerten, Tanz, Kunstprojekten, Musik, Workshops und Vorträgen an. Das sorgt für viel Publikumsverkehr und trägt zur Lebendigkeit des Quartiers bei.
Nordareal: Ein urbanes Viertel entsteht
Der Schwerpunkt der Entwicklung „Auf AEG“ verlagert sich nun von dem Südareal in den Norden. Hier wird derzeit fleißig gebaut. Es entsteht: Nürnbergs erstes urbanes Gebiet. Also ein städtebaulich bewusst durchmischtes Areal mit Wohnen, Gewerbe und Dienstleistung sowie Bildung, Kultur und sozialer Infrastruktur. Insgesamt entstehen 1.096 Wohneinheiten sowie 40.000 Quadratmeter für gewerbliche Nutzung. Anlaufpunkt und Aufenthaltsort für die Menschen auf dem Areal wird ein zentraler Quartiersplatz. Profilgebend für das Nordareal wird zudem einmal mehr das Thema Wissenschaft und Forschung. Im Bau ist das Innovationszentrum der Technischen Hochschule Nürnberg Georg Simon Ohm (Ohm Innovation Center). Ab Sommer 2024 kommen auf 6.000 Quadratmetern das Institut für Wasserbau und –wirtschaft, das LEONARDO – Zentrum für Kreativität und Innovation sowie Forschungs- und Laborflächen inklusive einer Drohnenhalle unter. Es entstehen Arbeitsplätze für rund 100 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Außerdem entsteht auf dem Areal derzeit das Zentrum für Medien, Kommunikation und IT der Technischen Hochschule Nürnberg Georg Simon Ohm. Die Fakultäten Design und Informatik finden hier auf 19.000 m² ein neues Zuhause.
Transformation gestalten
Das AEG-Areal steht beispielgebend dafür, was man mit einer aktiven Innovationspolitik erreichen kann. Über ein Jahrzehnt hat sich die Wirtschaftsförderung Nürnberg dafür eingesetzt, Wissenschaft und Forschung auf das Areal zu ziehen und Technologietransfer dort zu etablieren. Die Wirtschaftsförderung Nürnberg engagiert sich in den Netzwerken vor Ort, finanziert Wissens- und Technologietransfer und Sichtbarkeit, schiebt neue Themen wie z.B. Wasserstoff an. Leitprojekt auf AEG ist gegenwärtig das Innovations- und Gründungszentrum NKubator, das von der Wirtschaftsförderung konzipiert, finanziert und mit Partnern umgesetzt wurde.
Letztlich bleibt aber die Frage: Hat sich dieser lange Atem geloht? Heute arbeiten und forschen über 1.000 Menschen auf dem ehemaligen Fabrikareal – perspektivisch – wenn das Nordareal fertiggebaut und bezogen ist – dürften im Quartier wieder ähnlich viele Menschen arbeiten wie noch zu Zeiten von AEG. Bereits jetzt steht das Quartier für Spitzenforschung in Energie und Smart Cities, für Kultur und Begegnung und für die gelungene Transformation eines alten Industrieareals. Oder kurz gesagt: Das war es wert.
Passende Links zum Thema
- Energieforschung am Energie Campus Nürnberg erleben!
- Energietechnikcluster ENERGIEregion Nürnberg e.V.
- Zentrum Wasserstoff.Bayern – Think-Tank und Netzwerk rund um das Thema Wasserstoff
- NKubator – Innovations- und Gründerzentrum für Energie, GreenTech und Nachhaltigkeit
- Kulturwerkstatt auf AEG der Stadt Nürnberg
- Ohm Innovation Center – Innovationszentrum der Technischen Hochschule Nürnberg Georg Simon Ohm
- LEONARDO – Zentrum für Kreativität und Innovation
Titelbild: © Wirtschaftsförderung Nürnberg
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