Transformationsgeschichten: Die Fahrzeugzulieferindustrie in der Metropolregion Nürnberg

Transformationsgeschichten: Die Fahrzeugzulieferindustrie in der Metropolregion Nürnberg

Lesedauer: 4 Minuten

Eine Branche im Wandel

Was nur wenige wissen: Mit 100.000 Beschäftigten ist die Fahrzeugzulieferindustrie eine der wirtschaftlichen Leitbranchen in der Metropolregion Nürnberg. Ein Zehntel aller Beschäftigten der deutschen Automobilindustrie sind hier tätig und gut die Hälfte der bayerischen. Da es in der Region keinen großen Fahrzeugbauer wie BMW oder Audi gibt, bleibt die große Kompetenz im Verborgenen. Stattdessen bilden 500 kleine und mittlere Unternehmen das Rückgrat der Zulieferindustrie vor Ort. Hinzu kommen namhafte Großunternehmen wie MAN, Schaeffler, Brose, LEONI, ZF, Vitesco und Bosch, die meisten mit einem Standort in Nürnberg. Die Region ist gut aufgestellt in Materialien für die Fahrzeugherstellung, modularen Türsystemen, Bordnetzen, Antriebstechnik, Lagertechnik und Elektromobilität.

IHK-Fachforum Neue Materialien © Kurt Fuchs

Die Branche wird getrieben durch die doppelte Transformation von Digitalisierung und Nachhaltigkeit, die sich hier besonders dynamisch entwickelt und die Elektrifizierung des Antriebsstranges, die große Herausforderungen wie Dekarbonisierung und Digitalisierung der Produktion, digitale Geschäftsmodelle, autonomes Fahren mit sich bringt. Wertschöpfung und Beschäftigung der Region sind derzeit noch stark vom Verbrennungs­motor abhängig. Demensprechend sind fünf der insgesamt 40 deutschlandweit vom auto­mobilen Wandel besonders betroffenen regionalen Hotspots hier verortet. Kurz gesagt: Viele Arbeitsplätze in der Branche sind gefährdet.

Die Branche nimmt die Herausforderung an: Ein Großteil der Automotive-Unternehmen in der Metropolregion hat sich schon auf den Weg gemacht und gestaltet die Transformation. Bereits sichtbar ist dies bei der Elektrifizierung des Antriebsstranges. Die Zulieferer verlagern bereits ihren Schwerpunkt von Verbrennungsmotoren auf die Elektromobilität. Der Anteil an Unternehmen, deren Produktportfolio hauptsächlich Teile und Komponenten für klassische Antriebstechniken umfasst, ist binnen zwei Jahren um fünf Prozentpunkte auf 67 Prozent gesunken. Diese Dynamik wird sich weiter beschleunigen. Für das Jahr 2024 wird ein Rückgang auf 57 Prozent erwartet. Die Unternehmen erhöhen zudem ihre Investitionen in die Digitalisierung – von vier Prozent des Umsatzes im Jahr 2020 auf voraussichtlich sieben Prozent in 2024. Neun von zehn Zulieferbetrieben aus der Region erschließen parallel Geschäftsfelder in anderen Branchen, z.B. Energie- oder Medizintechnik (vgl. Reifegrad­messung 2023 – Transformationskompass für Automobilzulieferer).

Ein Transformationsnetzwerk der Fahrzeugzulieferindustrie formiert sich

Die betroffenen kleinen und mittleren Unternehmen aus der Metropolregion Nürnberg zusammenzubringen und zu befähigen, die Transformation im eigenen Betrieb zu gestalten, das ist das Ziel des Transformationsnetzwerkes transform_EMN. Für dessen Aufbau stehen 6,5 Millionen Euro Fördermittel des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz zur Verfügung. transform_EMN steht für eine große Transformations-Community der Zulieferindustrie und für eine Positionsbestimmung und Zukunftsstrategie der Branche. Am wichtigsten aber: Das Projekt bietet konkrete und kostenfreie Unterstützungsangebote für die Zulieferunternehmen in der Metropolregion Nürnberg.

Fokusgruppe Fraunhofer IISB © EMN

Konkrete Hilfestellungen für kleine und mittlere Unternehmen

Technologietransferplattform für Elektromobilität

Der Wandel vom Verbrennungsmotor zu elektrischen Antrieben – sei es batterieelektrisch oder mit Brennstoffzelle – ist technologisch fordernd. Kleine und mittlere Unternehmen profitieren von Fokusgruppen für die Themen Antriebstechnik, Mobilitätsinfrastruktur und Energiespeicher, die den Austausch zwischen Wissenschaft und Wirtschaft, Kooperation bei der Technologieentwicklung und die Anbahnung von Forschungs- und Entwicklungs­projekten in den Mittelpunkt stellen.

Technologiedemonstratoren für zukunftsfähige Produktion

Im Rahmen von transform_EMN wurden zwei Demonstratoren für zukunftsfähige Produktionstechnologien aufgebaut und sind nun für alle Unternehmen der Fahrzeugzulieferindustrie aus der Metropolregion Nürnberg zugängig; für Demonstrationen, Workshops und Schulungen. Der Demonstrator für Digitalisierung zeigt beispielhaft den Einsatz von Künstlicher Intelligenz für die Qualitätssicherung in der Herstellung von Elektromotoren. Der Demonstrator für energieeffiziente Produktion simuliert Einsatz und Verbrauch von Komponenten eines Gleichstromnetzes in der Produktion im Vergleich mit einem konventionellen Stromnetz.

Branchenzugang zum Leitmarkt Medizintechnik

Unterstützung erhalten Automotive-Unternehmen im Rahmen des Projektes transform_EMN beim Einstieg in die Medizintechnik-Branche, z.B. durch Beratung und Unternehmensbesuche bei führenden Medizintechnik-Anbietern in der Region.

Interaktive Automotive-Datenbank

Der AutomotiveFinder bietet schnelle Orientierung in der Automobilzulieferindustrie der Metropol­region Nürnberg. Die Datenbank ermöglicht es, gezielt nach Unternehmen, Technologien oder Kompetenzen zu suchen. Unternehmen aus der Region können sich jederzeit selbst mit ihren Leistungen und Bedarfen eintragen.

Networking und Dialog

Die Netzwerkbildung wird durch regelmäßige Veranstaltungen gefördert und intensiviert. Leitevent ist die Zukunftswerkstatt Automotive als großes Dialogevent der Automotive Branche der Region. Die nächste Zukunftswerkstatt Automotive findet am 10.04.2024 in Amberg statt. Wissen teilen und persönliche Kontakte auf Augenhöhe ermöglicht das digitale Format KEY TIME für Entscheiderinnen und Entscheider aus der Autozulieferbranche, das vierteljährlich stattfindet. Eine Übersicht über die vielen weiteren Veranstaltungen im Rahmen des Projektes ermöglicht die Projektwebsite.

Das Angebots-Portfolio wird laufend erweitert.

© Rudi Ott / Kulturidee

Zulieferer in Bewegung

Was tut sich am Standort Nürnberg? Trotz der insgesamt schwierigen Situation der Fahrzeugzulieferindustrie gibt es Unternehmensentscheidungen, die Mut machen und in die Zukunft weisen. Hier nun einige Beispiele.

MAN Truck & Bus wird ab Anfang 2025 Hochvolt-Batterien für E-Lkw und ‑Busse in Großserie am Standort Nürnberg fertigen. Dafür investiert das Unternehmen in den kommenden fünf Jahren rund 100 Mio. Euro am Fertigungsstandort für Verbrennungsmotoren. Zudem geht das Unternehmen auch neue Wege in der Forschungs- und Entwicklungskooperation. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von Universität und Hochschule forschen am Campus Future Driveline eingebettet auf dem Werksareal von MAN Truck & Bus in Nürnberg.

Bosch hat in seinem Werk 1 im Südwesten Nürnbergs in den letzten Jahren einen zweistelligen Millionenbetrag im Bereich der additiven Fertigung investiert, insbesondere im hochkomplexen Metalldruck. Das Kompetenzzentrum 3D-Druck steht auch externen Unternehmen offen für Rapid Prototyping und Kleinserienproduktion.

Hervorragend aufgestellt ist Nürnberg im Bereich der Leistungselektronik für mobile Anwendungen. Mit SiCrystal ist am Standort der Weltmarktführer für Siliziumkarbid-Wafer ansässig. Diese dienen als Basis für höchsteffiziente Leistungselektronik und werden daher gegenwärtig stark nachgefragt für Anwendungen in der Elektromobilität. Mit Semikron Danfoss ist in Nürnberg zudem ein führendes Leistungselektronikunternehmen tätig. Das Unternehmen plant seine Fertigungskapazität zu verdreifachen. Eine Förderung aus dem EU-Chips Act vorausgesetzt, könnten hier in den nächsten Jahren 250 Millionen Euro investiert werden. Bereits angekündigt, ist der Aufbau eines großen Forschungs- und Entwicklungszentrums für Elektromobilität der Unternehmen ZF und Wolfspeed in der Region Nürnberg – auch dies wäre ein Multimillionen-Investment.

Ein wichtiges Signal an die Branche ist zudem die Investition des Freistaates Bayern in das Bayerische Chip Design Center in Höhe von 50 Millionen Euro, das auch einen Standort in Nürnberg erhält. Positiv ist zudem der avisierte Kauf von Vitesco Technologies durch Schaeffler zu werten. Schaeffler verstärkt damit seine Kompetenzen im Bereich Elektromobilität.

Titelbild: IHK-Fachforum Neue Materialien © Kurt Fuchs