„Wir müssen uns jeden Tag wieder neu erfinden“

„Wir müssen uns jeden Tag wieder neu erfinden“

Lesedauer: 4 Minuten

Anlässlich der Dialogveranstaltung „Nürnberger Gespräche“ am 13.03.2024 zum Thema „Wie bewältigen Regionen die digitale und ökologische Transformation von Wirtschaft und Arbeitsmarkt?“ führte die Redaktion des Wirtschaftsblogs ein Interview mit Wirtschafts- und Wissenschaftsreferentin Dr. Andrea Heilmaier über die Herausforderungen und Chancen der doppelten Transformation der Wirtschaft.

Wir leben in ziemlich unruhigen Zeiten. Akute Krisen wie der Krieg in der Ukraine, fragile Lieferketten oder hohe Energiepreise werden überlagert von den unumkehrbaren Trends zu Digitalisierung und Nachhaltigkeit. Das ist insgesamt eine riesige Herausforderung für die Wirtschaft. Ist Nürnberg für diese doppelte Transformation gerüstet?

Wir haben bei vergangenen Transformationen bewiesen, dass wir den Wandel gestalten können. Nürnberg hat den Strukturwandel der 80er und 90er Jahre gut gemeistert. Heute hat Nürnberg mehr Beschäftigte als in den 90er Jahren. Aber es hat uns auch gezeigt: Wir müssen uns jeden Tag wieder neu erfinden. Wir müssen den Strukturwandel aktiv gestalten. Das wirtschaftspolitische Rüstzeug dafür haben wir. Zudem haben wir einen inhärenten Vorteil am Standort: In Nürnberg haben wir Stärken genau in den Branchen, die den aktuellen Wandel vorantreiben, nämlich in der Digitalwirtschaft und im Bereich Energie und grüner Technologien.

Sie sprechen von wirtschaftlichen Stärken im Bereich Digitalisierung. Woran machen Sie diese fest?

Die Zahlen sprechen für sich. In Nürnberg ist jeder zehnte sozialversicherungspflichtig Beschäftigte im Bereich Digitalisierung tätig. Einen noch größeren Anteil an IT‑Beschäftigten haben bundesweit nur noch München und Bonn. Wir haben hier vor Ort tolle IT‑Unternehmen, die die Transformation vorantreiben; beispielsweise in der Versicherungswirtschaft, in Anwalts- und Steuerkanzleien oder im Bereich der Prozessautomatisierung in der Industrie. Das Zukunftsthema ist natürlich Künstliche Intelligenz. Was wenige wissen: Wir sind auch hier gut aufgestellt. In Stadt und Metropolregion Nürnberg sind über 200 Lehrstühle und Professuren damit befasst. Hinzu kommen 250 KI‑Experten am Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen IIS. Einen riesigen Schub dürfen wir von der Technischen Universität Nürnberg erwarten. Sie wird von Grund auf als Modelluniversität mit Schwerpunkt auf KI aufgebaut.

Künstliche Intelligenz in Nürnberg © SuPaTMaN | shutterstock.com, eigene Darstellung

Und im Bereich Nachhaltigkeit… Wo liegen da die Stärken der Region?

Nürnberg ist ein TOP‑Standort für grüne Technologien. Aus Nürnberg kommen Großtransformatoren und Netztechnik, hocheffiziente Bauteile für Elektromobilität und die Transformatoren für Züge und Straßenbahnen. Aber auch Zukunftsweisendes wird hier entwickelt, z. B. Solarzellen aus dem Drucker, flüssige Wasserstoffspeicher, sich selbst verdunkelnde Fenster oder E-Lkw. Nürnberg ist führend im Bereich der Leistungselektronik mit wirtschaftlichen Kompetenzen entlang der gesamten Wertschöpfungskette von der Wafer‑Fertigung bis zu kompletten Systemen. Mit dem interdisziplinären Energieforschungsverbund Energie Campus Nürnberg haben wir vor Ort einen Kristallisationskeim geschaffen, um den sich profilierte Energie-Spitzenforschung etabliert hat und der laufend Innovationsimpulse für diese dynamische Technologiebranche gibt.

Welche Rolle in der Transformation kann Wirtschaftsförderung spielen?

Ich glaube an die gestalterische Kraft der Wirtschaftsförderung ‑ auch und gerade vor Ort. Es geht darum, bestehende wirtschaftlich-technologische Kernkompetenzen zu stärken und Chancen in neuen Märkten zu eröffnen. Es geht in gleichem Maße darum, das Wissen und Können vor Ort in alle Wirtschaftszweige zu übertragen und sie zu Gewinnern der doppelten Transformation zu machen.

Wie genau müssen wir uns die Stärkung der Kompetenzen vor Ort vorstellen? Wie funktioniert das konkret?

Wenn wir bei der digitalen Transformation führend bleiben wollen, müssen wir unsere ausgewiesenen wirtschaftlichen Kompetenzen im Bereich Digitalisierung auf dem neuesten Stand halten. Wir brauchen einen laufenden Zustrom an neuen digitalen Start-ups ‑ gerade in einem Technologiefeld, das sich so schnell entwickelt wie Digitalisierung. Hierzu haben wir den ZOLLHOF Tech Incubator ins Leben gerufen. Nürnbergs Start-up-Schmiede für digitale Gründungen ist mit seinen rund 50 Start-ups einer der am schnellsten wachsenden Tech‑Inkubatoren Deutschlands und unter den Top 3-Gründerzentren in Bayern und steht für 1.000 neue Arbeitsplätze und 300 Millionen Euro eingeworbene Start-up-Finanzierung. Wir denken aber bereits an die nächste Zündstufe. Mit dem Konzept ZOHO Factory soll die Gründerunterstützung auf ein neues Level gehoben werden. Es geht darum, privates Kapital für Start-ups im zweistelligen Millionenbereich zu aktivieren und die technologische Tiefe der Start-ups weiter zu erhöhen.

ZOLLHOF Tech Incubator – Nürnbergs Start-up-Schmiede für digitale Gründungen © Maria Bayer / ZOLLHOF

Wie erklären Sie dem Mittelständler vor Ort oder dem Handwerksbetrieb, warum Digitalisierung und Nachhaltigkeit für ihn wichtig sind?

Indem wir deren Bedeutung bei unseren Kontakten mit den Unternehmen hochhalten. Für alle Nürnberger Unternehmen, die sich diesen Themen nähern wollen, bieten wir Einstiegsberatungen an, z. B. Self-Assessments zum digitalen Reifegrad oder Ressourcen- und Energieeffizienz-Beratungen. Eine wichtige Rolle spielen aber auch Anlaufstellen wie Technologienetzwerke oder Anwendungszentren. Wir achten sehr darauf, dass es diese zu den relevanten Zukunftsthemen in Nürnberg gibt. Wer das Thema Künstliche Intelligenz beispielsweise angehen will, ist beim Ada Lovelace Center für Analytics, Daten und Anwendungen gut aufgehoben. Wer sich eher mit Anbietern und Anwendern vernetzen möchte, geht zu NIK e.V. dem Netzwerk für Digitalwirtschaft. Vergleichbare Angebote gibt es auch im Bereich Nachhaltigkeit. Der NKubator – Innovations- und Gründerzentrum für Energie, GreenTech und Nachhaltigkeit bietet zum Beispiel nicht nur grünen Start-ups ein Heim, sondern berät auch unabhängig zum Thema Nachhaltigkeit.

Manche Branchen trifft die doppelte Transformation noch stärker als andere. Als besonders herausgefordert gilt die Branche der Fahrzeugzulieferindustrie, die in der Metropolregion Nürnberg immerhin 100.000 Beschäftigte zählt.

Und auch hier werden wir tätig. Wir setzen dem aktuellen Trend des Arbeitsplatzverlustes in der Automotive-Branche bewusst ein großes Transformationsnetzwerk entgegen, mit handfesten Angeboten wie Technologie-Netzwerken, Leit‑Events, Tech‑Demonstratoren, Transformationsreifegradmessung, Qualifizierung und Strategiebildung. Gemeinsam mit starken Partnern haben wir hierfür 6,5 Millionen Euro aus Bundesmitteln für das Projekt transform_EMN eingeworben. Ziel ist es, die Branche bei der Transformation bestmöglich zu unterstützen. Hilfe zur Selbsthilfe gewissermaßen.

Vielen Dank Frau Dr. Heilmaier für das Gespräch.

Nürnberger Gespräche
In der Reihe „Nürnberger Gespräche“ diskutieren Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Praxis aktuelle und drängende Probleme des Arbeitsmarktes. Die Veranstaltung wird von der Bundesagentur für Arbeit, unter Federführung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, und der Stadt Nürnberg ausgerichtet. Sie findet zweimal jährlich im Historischen Rathaussaal der Stadt Nürnberg statt. Am 13.03.2024 steht die Frage „Wie bewältigen Regionen die digitale und ökologische Transformation von Wirtschaft und Arbeitsmarkt?“ im Fokus der Dialogveranstaltung.

Das könnte Sie auch interessieren

Titelbild: Dr. Andrea Heilmaier (Wirtschafts- und Wissenschaftsreferentin Stadt Nürnberg) © Peter Spängler

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert