Jeder fünfte Unternehmensgründer in Deutschland hat ausländische Wurzeln – und die Zahl nimmt stetig zu. Wir fragten Rainer Aliochin, Chief Operating Officer des AAU e.V. (vormals Ausbildungsring Ausländischer Unternehmer), warum es diese Entwicklung gibt, in welchen Branchen am meisten gegründet wird und warum Gründer mit Migrationshintergrund sich leichter mit der Selbstständigkeit tun.
Laut einer Studie der Universität Mannheim entfällt ein immer größerer Anteil der Firmengründungen in Deutschland auf Menschen mit Migrationshintergrund – während die Zahl der deutschen Gründer langsam zurückgeht. Fällt Ausländern das Gründen einfach leichter?
Aliochin: Ja, ich denke, genau das ist der Fall. Viele Menschen, denen ich im Rahmen unserer Existenzgründungsberatung für Migranten begegnet bin, sehen die Gründung nicht als Lebensprojekt, sondern ganz einfach als Mittel und Zweck, gutes Geld zu verdienen. Man versucht es einfach mal. Das hat den großen Vorteil, dass im Falle eines Scheiterns das eigene Selbstbewusstsein nicht so angekratzt wird. Deshalb tut man sich auch leichter beim Gründen. Und auch deshalb, weil viele Gründungswillige aus Ländern stammen, in deren Freundes- und Familienkreis etliche Selbstständige oder Unternehmer zu finden sind. Oder sie waren selbst schon unternehmerisch tätig. Sie haben also erlebt, dass Unternehmertum in der Regel funktioniert. Anders in Deutschland, wo die meisten Menschen in einem Umfeld leben, in dem das sichere Angestelltenverhältnis dominiert.
Gibt es Branchen, in denen überdurchschnittlich viele Firmengründer mit Migrationshintergrund tätig sind? Und Nationalitäten, die besonders fleißig gründen?
Aliochin: Die gibt es natürlich. Derzeit sind es vor allem Osteuropäer, die beim Gründen die Nase vorn haben. Vor allem Menschen aus Rumänien und Bulgarien haben kräftig zugelegt. Die größte Zahl der Firmengründungen von Zuwanderern entfällt derzeit jedoch auf polnische, russische und türkische Bürger. Eine schöne Entwicklung dabei: Die Zahl der Gründungen in wissensintensiven Branchen steigt. Vor allem Dienstleister wie Ärzte, Anwälte, Unternehmensberater und Ingenieure machen sich selbstständig – und stellen mit 28 Prozent den größten Anteil aller Unternehmer mit Migrationshintergrund.* Auf Platz zwei liegt mit 23 Prozent nach wie vor das Gastgewerbe. Platz 3 teilen sich Handel (15%) und Baugewerbe (16%), wobei Gründungen in letzterem Bereich stark zugenommen haben.
Unterscheiden sich deutsche Gründer von Gründern mit Migrationshintergrund?
Aliochin: In den meisten Fällen schon. Intern sprechen wir hier von Mustern, sind uns aber im Klaren darüber, dass der nächste zu Beratende diesen Mustern nicht entsprechen muss. Der deutsche Gründer bereitet sich auf ein Beratungsgespräch zur Existenzgründung detailliert vor. In der Beratung wünscht er sich eine Bewertung seines Businessplans sowie allenfalls noch ein paar praktische Tipps – zum Beispiel zu Fördermitteln, Kundenakquise oder Steuererleichterungen. Ganz anders gehen dagegen viele Gründungsinteressierte ausländischer Herkunft vor. Sie haben sich allenfalls aus mündlichen Quellen informiert, vertrauen also ganz auf das, was ihnen Menschen aus ihrem persönlichen Umfeld erzählen. Häufig wurde noch gar keine Markt- und Wettbewerbsanalyse gemacht.
Hinzu kommen auch echte kulturelle Unterschiede. So ist vielen angehenden Unternehmern nicht klar, dass ein unterschriebener Vertrag in Deutschland grundsätzlich rechtskräftig ist – und keine unverbindliche Absichtserklärung. Dasselbe gilt für die deutschen Steuer- und Arbeitnehmerschutzgesetze. Da sind die deutschen Gründer und Zuwanderer in zweiter Generation natürlich im Vorteil, weil sie in diesem System ja aufgewachsen sind.
Wie reagiert der AAU e.V. auf die spezifischen Anforderungen?
 Aliochin: Der AAU e.V. bietet bereits seit zwanzig Jahren eine ganze Reihe von Dienstleistungen an, die genau darauf ausgerichtet sind, Unternehmer mit Migrationshintergrund zu unterstützen. Zum Beispiel durch unsere XeneX Gründerberatung. Oder das Aqua Projekt, das durch gezielte Anpassungsqualifizierung dafür sorgt, dass Zeugnisse von Migranten volle Gleichwertigkeit erlangen. Oder indem wir kleinen Unternehmern ohne Ausbildungsschein ermöglichen, Ausbildungsplätze anzubieten – durch externe Ausbilder und praktische Ausbildungseinheiten in einem Partner-Leitbetrieb. Zusätzlich haben wir in Zusammenarbeit mit der IQ-Fachstelle Migrantenökonomie auch das Internetportal „Wir gründen in Deutschland“ aufgebaut. In dreizehn Sprachen wird hier genau erklärt, wie man in Deutschland ein Unternehmen gründet und zum Erfolg führt.
Sie sind seit der Gründung Geschäftsleiter des AAU – also seit gut zwanzig Jahren. Worüber haben Sie sich rückblickend besonders gefreut und was wünschen Sie sich für die nächsten 20 Jahre AAU?
 Aliochin: Ich freue mich, wenn ich an Menschen denke, denen wir wirklich helfen konnten. Über unseren ehemaligen Azubi, der heute ein ausgezeichneter und glücklicher Verkäufer ist, genauso, wie über einen ehemaligen Gründer, der heute erfolgreich eine Großbäckerei im Nürnberger Stadtteil Johannis betreibt. Wichtiger als Rückblicke ist aber der Blick in die Zukunft. Und da würde ich mir von der Politik mehr Planbarkeit für unsere Projekte wünschen. Die werden derzeit immer nur für die Dauer von zwei oder fünf Jahren bewilligt und finanziert – mit Option auf Verlängerung. Diese jedoch ist natürlich wieder mit viel Bürokratie verbunden und kostet uns damit Zeit, die wir gerne auf die eigentlichen Projekte verwenden würden. Mein Wunsch lautet also: Weg vom kurzen Planungshorizont hin zu langfristiger Planbarkeit!
Praktische Links zum Thema
- Ausbildung, Existenzgründerberatung u.v.m. – alle Projekte des AUU Nürnberg auf einen Blick
- *IQ Förderprogramm „Integration durch Qualifizierung“: Fact Sheet zur Migrantenökonomie in Deutschland (PDF)
- Informations-Website zur Unternehmensgründung in Deutschland – in 13 Sprachen!
Titelbild: Rainer Aliochin, Chief Operating Officer des AAU e.V. in der Beratung einer Gründerin © AAU e.V.
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